Verehrte Frau Newman, verehrte Frau Gumbel, verehrter Peter und verehrter John Gumbel,
liebe Frau Bürgermeisterin Tzschoppe,
lieber Vorsitzender unserer Stadtverordnetenversammlung, Reinhard Drogla,
liebe Vorsitzende der Grünebaumstiftung, Herr Prof. Stapperfend und Herr Gerards,
liebe Vorsitzende des Kuratoriums, Frau Jordan,
liebe Präsidentin der BTU, Prof. Gesine Grande,
liebe Honoratioren,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
die Grünebaum-Preise sind etwas Besonderes. Das wissen wir. Das feiern wir jedes Jahr.
Sie sind es, weil sie daran erinnern, wie wichtig es ist, Brücken zu schlagen, immer wieder – und vor allem jetzt, da wir nicht mehr sicher sein können, ob die Pfeiler, auf der die Brücke errichtet wurde, halten können.
Die Grünebaum-Stiftung ruht auf dem Fundament des Vertrauens in das eigentliche, was den Menschen ausmacht: die Fähigkeit, das Gute zu wollen. Sie erinnert daran, wie erstaunlich es immer wieder ist, dass diese Pfeiler halten und alle darin wieder Vertrauen finden können.
Doch halten die Pfeiler wirklich? Ist das Fundament wirklich fest? Wollen wir Menschen das Gute? Ich bin nicht mehr sicher.
Es reicht offenbar nicht aus, beständig zu mahnen. Es reicht offenbar nicht aus, beständig daran zu erinnern, dass es Menschen gibt, die das nicht wollen.
»Offenbar« sage ich, weil offen zu Tage liegt, was in der letzten Woche geschehen ist. Der barbarische, unvorstellbare Terror gegen Israel, der sich gegen alle Juden richten soll, hat Wurzeln auch mitten in Deutschland. Nicht nur bei jenen, die noch nicht seit vier Generationen hier leben.
Mitten in deutschen Städten wird der Blutrausch, wird der Hass gegen Menschen, wird die Verachtung der Zivilisation gefeiert. Und viele, die seit mehr als vier Generationen hier leben, schweigen dazu, zucken kalt mit den Schultern oder finden schon wieder Schuldgründe bei Israel selbst.
Wer so etwas tut, kann nichts Gutes wollen. Wer nichts dagegen sagt, macht sich mit dem Bösen gemein.
Warum ist so schwer zu verstehen, wie schnell es gewinnt?
Von allein kommt nur das Böse. Das Gute müssen wir wollen.
Worin wir uns unterscheiden, was uns ausmacht, worauf unser Leben beruht, ist, dass wir unser Wollen gestalten können. Aktiv. Es ist Ergebnis einer Reflexion darüber, was nötig ist, was wichtig ist. Sonst ist es Barbarei.
Wir haben in unserer Geschichte genügend Katastrophen verursacht, um zu wissen, wie wichtig es ist, einen Willen zu haben. Sich nicht dem anderen zu beugen. Es führt immer zu einer Katastrophe, nicht aktiv das Gute zu wollen.
Was letzte Woche in Israel und anschließend an vielen Orten der Welt passiert ist, ist eine erneute solche Katastrophe. Es ist ein tiefer Schnitt in das ethische Fundament unseres Lebens, in die Gewissheit, dass wir Menschen das Gute wollen wollen.
Umso mehr: Auf solcher Erschütterung, auf Erfahrung solcher Katastrophe – können Sie sich das vorstellen? – ruht die Grünebaum-Stiftung: auf diesem Vertrauen darin, das Gute wollen zu können.
Deshalb: Wir können nicht nur, wir müssen das Gute wollen, weil wir Menschen sind.
Ein großer Teil unserer Aufgabe als künstlerische Institution ist es, das nicht nur anlässlich solcher Gelegenheiten zu wiederholen. Sondern es ständig zu tun. Erinnern, das ist zwar Aufrechterhalten. Wiederholung von Bekanntem ist wichtig, aber nichts, was wir neu verstehen können, es gibt keine neuen Anstöße. Damit es uns anstößt, wirklich in der Gegenwart ist, müssen wir es ständig tun.
Die Anzeichen dafür, dass immer mehr Menschen der Mut, der dazu nötig ist, verloren geht, mehren sich.
Wir ziehen uns immer mehr auf Bekanntes zurück, ruhen uns darin aus, vermeintlich alles zu kennen. Es beruhigt uns. Es ist kein Wunder. Wir sind offensichtlich beunruhigt und unsicher. Doch die Berufung auf vergangene Sicherheit macht nicht sicher. Im Gegenteil.
Wer Bekanntes fördert, fördert Routinen, Erinnerbares, Verwaltbares, Strukturierbares, Sortierbares – etwas, das man ordnen kann. Das einzige, was sicherer macht, ist das Ausprobieren verschiedener Möglichkeiten, die wir noch nicht ausprobiert haben.
Auf Unsicherheit müssen wir mit Experimentieren reagieren. Das ist das Erfolgsrezept des Voranschreitens menschlichen Lebens. Experimentieren nicht gleich in der Realität. Sondern in den Räumen, die die Gesellschaft dafür schafft, in künstlerischen (und wissenschaftlichen) Institutionen. Sie sind Räume des Neuen. Damit Neues erworben, damit es alt werden kann, dafür sind sie da.
Dafür sind auch die Max Grünebaum-Preise da. Sie zeichnen neue künstlerische und wissenschaftliche Arbeit aus. Etwas, das es wert ist, in den Kanon des kulturell Anerkannten aufgenommen zu werden.
Auf solche Unterschiede sollten wir achten. Auch darauf, keine falschen Konkurrenzen aufkommen zu lassen zwischen Altem, Bekanntem und Neuem, das sich noch nicht durchgesetzt hat.
Im Theater und in der Wissenschaft ist dieser Unterschied besonders augenfällig:
In der Wissenschaft, weil die Expertise oft so weit vom Alltagsverstand entfernt ist, dass sie auf das Fundament des Vertrauens angewiesen ist, um Neues erarbeiten zu können.
Im Theater, weil es live und im Moment des Geschehens schon wieder vorbei ist und wir die Gewissheit nur im Moment erhaschen können. Weil es uns zeigt, wie flüchtig alles ist, was wir wollen.
Wer das fördert, fördert Neues, noch nicht Überprüftes, Ungewisses. Unterhaltsames, Unverständliches. Etwas, das erst zu gestalten ist. Etwas, das erst zu verstehen ist.
Das erleben wir jedes Mal, wenn wir im Theater gebannt sind oder wenn in der Wissenschaft eine Entdeckung gemacht wird! Wir können daraus lernen, natürlich, aber doch, weil es für die Zukunft – also dafür, was gleich Gegenwart wird, – wichtig sein kann. Weil wir die gestalten wollen. Nein, gestalten müssen. -Da haben wir keine Wahl. -Damit wir immer besser darin werden, gute Menschen zu bleiben. Darauf bedarf es immer wieder neuer Blickwinkel.
Das ist auch eine Frage des Willens. Wir sollten ihn nicht aufgeben.
Deshalb verneigen wir uns vor der Grünebaum-Stiftung und den Nachkommen ihres Namensgebers. Im Namen des Hauses danken wir Ihnen, verehrte Familie, und danken auch Ihnen, liebe Vertreterinnen und Vertretern der Stiftung.
Stephan Märki, Intendant und Operndirektor